Meine RS Charas

Justin Pierce

Justin Pierce




"Ein roter Pandabär also..." Der Psychologe senkte seinen Blick. Die Brille verrutschte ihm auf der spitzen Name, doch er rückte sie nicht zurecht, machte sich stattdessen eine Notiz auf seinem Klemmbrett. Den Blick dabei nicht von dem Jungen abwendend.
13 Jahre alt war er, recht mager und nicht gerade von großer Statur für sein Alter. Wahrscheinlich war er der kleinste Junge aus seiner Klasse, aus der man ihn jedoch schon längst verstoßen hatte.
Relativ dunkles Haar fiel dem Jungen ins Gesicht. Im richtigen Licht konnte es mal dunkelblond, mal rotbraun wirken. Es verdeckte aber nicht seine Haselnussbraunen Augen, die unruhig hin und her zuckten, immer dem Augenkontakt mit dem Psychologen ausweichend und gleichzeitig alles auf ein Mal im Blick haben wollend.
Der Junge hatte Angst etwas zu verpassen, konnte kaum still sitzen. Man hatte ihn wegen seines auffälligen Verhalten hergeschickt. Endlich kam der Junge auf die vorherige Frage zurück und nickte nur zaghaft, sah den Psychologen zum ersten Mal an. Kurz darauf leckte er sich die Hand und begann mit einer ausgiebigen Katzenwäsche. Dieses Verhalten war es, was seine Familie gemeint hatte.
"Weißt du, dass Tiere deiner Art normalerweise nicht in dieser Region vorkommen?" fragte der Psychologe behutsam, versuchte den Jungen irgendwie von seinem so menschenunwürdigen Verhalten abzubringen.
Wieder nur ein Nicken.
"Fühlst du dich deshalb einsam?"
Ein kurzes Zögern, in dem der Junge in seinen Bewegungen inne hielt. Dann nickte er wieder, gefolgt von einem leisen Pfiff, der irgendwo aus seiner Kehle zu kommen schien.
Daraufhin rollte er sich auf dem schmalen Sessel zusammen und verharrte reglos in dieser Position, bis seine Eltern kamen, um ihn abzuholen. Das Ende jeder Sitzung.

Name: Justin Pierce O'Brien
Alter: 19
Größe: 1,72m


"Justin, komm da runter. Ich hole Mama!"
Die verzweifelte Stimme eines kleinen Mädchens, der Kopf so hoch gereckt, dass ihr der Nacken langsam schmerzte. Doch sie wollte ihren großen Bruder auf keinen Fall aus den Augen lassen. "Bitte!" rief sie noch einmal verzweifelt.
Sicher standen die nackten Füße auf dem dünnen Ast hoch über der Erde. Nicht nur für das Klettern entledigte er sich seiner Schuhe. Selbst im Schnee und auf Eis hatte er sich schon Barfuß fortbewegt. Es gab ihm einen besseren Halt, machte ihn sicherer.
Die zwei Hände, die sich vorher noch an einem Ast über seinem Kopf festgehalten hatten, ließen mit einem Ruck los.
Das kleine Mädchen hielt den Atem an, der Ast schwankte. Justin hielt die Balance, grinste seine Schwester an.
"Ich werde schon nicht fallen" versicherte er dem Mädchen und fuhr sich mit den jetzt frei zur Verfügung stehenden Händen durch die Haare. Lachend ließ er sich auf den Ast fallen und blieb darauf sitzen, stützte sich jetzt wieder mit beiden Händen.
"Du sollest auch raufkommen."
Sofort schüttelte das Mädchen den Kopf. Sie war lange nicht so geschickt wie ihr Bruder. Und von jeher hatten ihre Eltern ihr eingeschärft, woher dieses Geschick kam.
Er war verrückt. Und der einzige Grund, wieso sie ihren Eltern vieles verschwieg, was Justin anstellte, war die Angst, ihn zu verlieren.



"Ich will das nicht essen" Der Junge verschränkte beide Arme vor der Brust und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Er rümpfte die Nase, als der leise Duft des gebratenen Fleisches seine Nase erreichte. Nur selten kam es vor, dass er Fleisch zu sich nahm. Der heutige Tag war nicht dafür geeignet.
Die Blicke seiner Familie lagen wie so oft auf ihm. Das enttäuschte Kopfschütteln seiner Mutter, der ängstlich besorgte Blick seiner Schwester und schließlich sie strengen grauen Augen seines Vaters. Wohl wissend, dass es nicht das erste Mal war, dass Justin sich verweigerte. Egal, ob es dabei ums Essen, um Schuhe oder jegliche Verhaltensweisen ging.
Die Stuhlbeine verursachten ein unangenehmes Geräusch auf dem Küchenboden, als der Stuhl ruckartig zurückgezogen wurde. Sein Vater erhob sich, bedeutete Justin, es ihm nachzutun. "Es reicht" meinte der Mann mit den strengen, markanten Gesichtszügen. Er war erheblich größer als sein Sohn und baute sich nocheinmal extra auf, als er ihm gegenüberstand. 
Sofort stellte sich Justins Körper auf Gefahr ein. Hochgezogene Schultern, ein leises Fauchen aus seiner Kehle, langsam versuchte er sich zurückzuziehen. Kaum Menschlich sah er mehr aus, fletschte die Zähne. Panik glänzte in seinen Augen, als er die Wand hinter sich spürte und keine Ausweichmöglichkeiten mehr hatte.
Blind vor Adrenalin und vor Panik war alles in ihm nur noch auf pure Instinke gestellt. Bevor sein Vater bedrohlich eine Hand heben konnte, schlug Justin mehrmals zu, kratzte mit zu langen Fingernägeln über das Gesicht seines Vaters, spürte warmes Blut an seinen Händen, als die Haut unter seinen Nägeln aufriss.
Sein Vater taumelte zurück, wollte seinen Sohn anschreien, riss aber selbst die Augen auf, als er das Blut in seinem Gesicht roch und schmeckte.
Ohnmächtig sahen seine Mutter und seine Schwester zu, als Justin sich urplötzlich in Bewegung setzte und flink ins Wohnzimmer verschwand, wo er auf einen Schrank kletterte und dort verweilte, bis der Notdienst der Psychatrie kam und ihn holte.



Justin war 13 Jahre alt, als man ihn mit der Diagnose Therianthropie einweisen ließ.
Die ersten Symptome zeigten sich bereits in jungen Jahren, wurden zunächst als ADHS abgestempelt. Obwohl er darauf negativ getestet war, ließen seine Eltern nicht locker, wollten alles Andere nicht wahr haben.
Regelmäßig wurde er von Schulen geschmissen, weil er entweder andere dazu überredet hatte, sich in solche Gefahren zu begeben, wie er es beim Klettern tat, oder, weil er gegen die Schulordnung verstieß. Nicht selten kam es vor, dass er sich Kleidungsstücke entledigte, sobald ihm zu heiß wurde, weil er mit Hitze nur schwer klar kam. Hin und wieder verletzte er andere Mitschüler. Immer dann, wenn er sich bedroht fühlte und keine Fluchtmöglichkeit sah.
Irgendwann hatte er keine Chance mehr auf den Schulen in der Umgebung.
Als die Symptome mit dem Alter immer extremer wurden und Justin selbst irgendwann von sich behauptete, ein roter Pandabär zu sein, ging seine Familie zunehmend strenger mit ihm um.
Es war nur dieser eine Vorfall, in dem er sich so hilflos fühlte. Ansonsten galt er auch in der Nachbarschaft immer als der seltsame Junge mit dem unglaublichen Charm. Doch das half alles nichts. Niemand hätte weitere solche Anfälle mehr verantworten können. Er musste gehen.